Der Widerschein by Schönherr David

Der Widerschein by Schönherr David

Autor:Schönherr, David [Schönherr, David]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Roman
Herausgeber: Frankfurter Verlags-Anstalt
veröffentlicht: 2013-05-22T22:00:00+00:00


Viertes Kapitel

Im Gegensatz zu den meisten Ländern Europas genossen die Bewohner der Niederlande ein bemerkenswertes Maß an Freiheit. Während in Frankreich, Preußen und den übrigen Zivilisationen unzählige Scheiterhaufen brannten und ebenso viele Fallbeile herniedersausten, erblühte auf niederländischem Boden ein mannigfaltiges Glaubensparadies, das ebenso viele gute wie dunkle Seelen anlockte.

Zweifelsohne erforderten derartige Reisen und Umzüge in jenen finsteren Zeiten neben Geduld und Ausdauer auch eine gehörige Portion Glück. Jede Kreuzung verlangte nach offiziellen Dokumenten und unerhörten Wegzöllen; Banditen, Kriege und Epidemien säumten die Straßenränder; und die antreibende Sehnsucht nach Wärme, Ruhe und Geborgenheit zog drei beharrliche Verfolger hinter sich her: Hunger, Durst und Selbstzweifel.

All diese Schwierigkeiten taten dem Verlangen nach Freiheit keinen Abbruch. In Scharen verließen die Menschen ihre mühsam errichteten Existenzen, schulterten ihr weniges Hab und Gut, in der Absicht, von nun an nicht mehr Bauern und Handwerker zu sein, sondern stattdessen Pilger, Nomaden und Landstreicher.

Unter all diesen einfachen Menschen befanden sich ebenfalls zahlreiche Gelehrte: Propheten, Scharlatane und Philosophen verschiedenster Denkrichtungen – sie alle mischten sich unter das wandernde Volk, publizierten, kaum dass sie in der neuen Heimat Wurzeln geschlagen hatten, skandalöse Absonderlichkeiten und starben schließlich – statt durch die Hände der Justiz – an Hunger und Kälte.

Die verlockende Freiheit verbarg galant ihre offenbaren Mängel. Die Grenzposten des flachen Landes hielten weder Flüchtlinge noch deren Verfolger auf. Die Freiheit des Denkens machte hungrige Kindermäuler nicht satt. Steuern, Nahrung und Brennholz waren in den Niederlanden derart kostspielig, dass sich eine Verbesserung der Lebensumstände kaum abzeichnete. Schon bald flehte man Gott nicht mehr um Freiheit, Frieden und Gerechtigkeit an, sondern um Arbeit, Geld und Brot.

* * *

Zu Beginn des Frühlings verhaftete die Patrouille einer weiter entfernten Stadt eine deutsche Falschmünzerbande, ohne Passierscheine oder sonstige Befugnisse.

Da derartige Vorfälle in jener Zeit verstärkt auftraten, beschloss der zuständige Richter Beuningen, drastischere Maßnahmen zu ergreifen. Und so wurden unmittelbar nach ihrer Festnahme neunzehn Personen – darunter sechs Frauen und drei Kinder – zum Tod durch den Strick verurteilt.

Auf eine Untersuchung der Umstände, Zeugenbefragungen oder eine Vernehmung der Beschuldigten verzichtete Beuningen kurzerhand; die Beweislage sprach zweifellos gegen die Angeklagten: ein Dutzend Münzformen, etliche Schmelzklumpen Metall und einen hübschen Beutel mit Falschgeld – eine Verteidigung gegen eine solche Vielzahl von Indizien war ohnehin aussichtslos. Schon das bloße Vagabundieren reichte als Begründung des Urteils vollkommen aus.

Der Scharfrichter war schon verständigt worden, Beuningen hatte Eile geboten.

Erstaunlicherweise gestanden die Beschuldigten: Ja, sie seien aus der Not heraus zu Falschmünzern geworden; ja, sie hätten keinerlei Papiere, weder bei sich noch überhaupt jemals besessen; ja, sie seien selbstverständlich mitschuldig; aber nicht sie seien die eigentlichen Schuldigen, dieser Junge sei es gewesen, der habe die Idee gehabt, und der andere hätte die Formen gemacht – Beuningen schwenkte abwehrend seinen Gehstock, schüttelte seinen Kopf, da er den einzigen Übersetzer der Gruppe sowieso kaum verstehen konnte.

Wer und wo seien diese Jungen denn? Man solle sie alle herholen, dann werde man diese ebenso verurteilen.

Als keine Antwort kam, trat Beuningen näher. Ob sie ihn ärgern wollten? Er könne auch zuerst die Kinder hängen, vielleicht würde dies ihr Gedächtnis



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